2.1. Definition von Kultur

Definition: Was ist Kultur?

Stellen Sie sich vor, Sie müssen Ihr Land verlassen, weil Sie politisch verfolgt werden oder weil Krieg herrscht. Nach einer langen Reise kommen Sie endlich in einem fremden Land an. Wie würden Sie sich fühlen? Was würden Sie tun, um sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden?

Vielleicht fühlen Sie sich verloren und versuchen wahrscheinlich, Orientierungspunkte zu finden, etwas was Ihnen bekannt vorkommt und Ihnen helfen kann, sich zurechtzufinden. Diese vertrauten Punkte sind Teil Ihrer kulturellen Prägung. Mit der Zeit werden Sie durch Anpassung und Verständnis in der Lage sein, die kulturellen Elemente, die zu Ihnen passen, zu akzeptieren und letztlich zu übernehmen.

 

Es gibt zahlreiche Kulturdefinitionen. Bereits 1952 haben Kroeber und Kluckhohn mehr als 150 Definitionen des Begriffs „Kultur“ gezählt (Kroeber & Kluckhohn, 1952). Es folgen einige der bekanntesten. Kultur ist…

  • …der vom Menschen gemachte Teil der Umwelt (Harry Triandis)
  • …die kollektive Programmierung des Geistes (Geert Hofstede)
  • …die Art und Weise, wie eine Gruppe von Menschen Probleme löst (Fons Trompenaars)
  • …ein Orientierungssystem, das unsere Wahrnehmung von Normalität bestimmt (Alexander Thomas)
  • … ein unscharfes Konzept (Jürgen Bolten)

 

Kultur als Orientierungssystem

Nach Alexander Thomas manifestiert sich Kultur in einem für eine Nation, Gesellschaft, Organisation oder Gruppe typischen Orientierungssystem. Wir benötigen dieses System, um uns intuitiv in der Welt zurechtzufinden, weil das System unsere Wahrnehmung, unser Denken, unsere Werte und unser Handeln bestimmt und beeinflusst. Es beruht auf spezifischen Symbolen (Sprache, Gestik, Bekleidung, Begrüßungsrituale etc.) und wird an die nachfolgende Generation weitergegeben, wodurch eine Gruppenidentität geschaffen wird und dem, was wir sehen, wahrnehmen und tun, Sinn gegeben wird.Das Orientierungssystem schafft einerseits Handlungsanreize und Handlungsmöglichkeiten, andererseits aber auch Handlungsbedingungen und setzt Handlungsgrenzen fest (Thomas, 2010). Für Migranten, die in einem neuen Land ankommen, bedeutet das, sich mit einem neuen Orientierungssystem auseinandersetzen zu müssen, mit neuen expliziten und impliziten Regeln, neuen kommunikativen Stilen Das kann ein anstrengender Prozess sein, ganz besonders deshalb, weil Menschen häufig unbewusst erwarten, dass sich Migranten in der Hauptkultur assimilieren.

Unscharfe Kulturen

Aufgrund von Globalisierung und neuen Migrationsphänomenen sind viele moderne Gesellschaften nicht mehr so homogen wie frühere. Diese modernen Gesellschaften zeichnen sich unter anderem durch starke Prozess- und Netzwerkorientierung aus (Bolten, 2013). Kultur wird definiert als Netzwerk von Reziprozitätsdynamiken zwischen Menschen und Gruppenkulturen. In diesem Sinne ist Kultur ‘fuzzy’ (Bolten, 2013). Sie hat keine klaren Grenzen. Menschen gehören mehr als nur einer Gruppe an  – d.h. sie sind Teil von mehr als einer Gruppenkultur. Daher tragen sie verschiedene Elemente aus anderen Gruppenkulturen in jede neue Gruppe, mit der sie in Kontakt treten. Daraus resultiert eine heterogene Struktur, wie wir sie in modernen Gesellschaften vorfinden.

Je nachdem aus welcher Entfernung man Kultur betrachtet, kann sie jedoch als mehr oder weniger homogen / heterogen wahrgenommen werden. Je genauer wir sie betrachten, desto mehr Unterschiede werden wir in einer Gesellschaft finden.